Der Kickboxer mit der Trompete

05. November 2018.

Ich fahre zur Kickboxschule Olbersdorf.

Spreche dort mit Rene Teuber, der am  nächsten Wochenende im Biergarten der Gaststätte Weinau auftritt.

Als ich den Keller hinunter in den Flur eintrete, repariert er gerade den Kaffeeautomaten.

Er ist der Sohn eines Alleinunterhalters mit Keyboard, den ich zwei Tage davor im Biergarten gesehen hatte. Sie treten abwechselnd oder gelegentlich auch gemeinsam auf. Sein Vater ist jetzt 71 Jahre alt. Er machte das auch schon vor der Wende, sein Leben lang. Vor der Wende in Bands, dann nach der Wende ging das mit den Bands bergab, denn es gab ja dann bald keine Arbeit und Geld mehr. Da haben dann alle angefangen Soloprogramme zu machen, wurden Diskotheker oder Alleinunterhalter.3

Nach 15 Minuten funktioniert auch der Kaffeeautomat wieder und der Kaffee ist fertig.

Rene Teuber hatte sich vor 15 Jahren mit seiner Kickboxschule selbstständig gemacht. Musikauftritte macht er so nebenbei, um sich ein wenig Geld dazuzuverdienen. Im Gasthaus, zu Geburtstagen und bei Beerdigungen. Bei Letzteren sei es besonders wichtig, immer die richtigen Noten zu treffen.

In seiner Kickboxschule kommen Menschen jeglichen Alters. Er hat verschiedene Gruppen. Die Jüngsten sind gerade einmal fünf Jahre alt. „Mit denen ist es aber oft etwas schwieriger, die lernen ja erst in der Schule, dass die anderen ruhig sein müssen wenn einer vor der Tafel steht“.

Er ist sehr stolz auf seine Schule, die er selbst geschaffen hat. Seine Frau macht die Buchführung. Die Kindeserziehung „teilen sie sich”. Sein Eltern standen und stehen immer hinter ihm, förderten seine Musik. In der Schule kommen die Menschen weniger um das Kämpfen zu lernen, sondern um sich fit zu halten. Zwischenfälle gab es noch keine. Nur einmal haben ein paar Idioten, die seine Club-T-Shirts anhatten, in der Umgebung rumgepöbelt. Die hat er natürlich rausgeschmissen.

„Beim Training haben die immer die Köpfe eingezogen, wenn mal mehr Action war, Ich hätte mir nie vorstellen können, dass die soetwas machen. Sonst sind die Leute hier sehr ok”

Er versucht hier auch gerade zwei Jungs mit Drogenproblemen zu integrieren. Davon weiß sonst aber keiner. Muss auch niemand.

Urlaub macht er fast nur in Deutschland. „Es gibt so viele Stellen, die so wunderschön und noch zu entdecken sind”, sagt er.

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Viele aus dem Dreiländereck kaufen in Tschechien und Polen ein, um billiger zu leben. Das würde er nie machen. Er fährt zur Araltankstelle auf deutscher Seite. Der müsse doch auch seine Miete bezahlen können.

 

„Gut, dass die Menschen in Deutschland uns hier in Sachsen für Nazis halten, dann kommen wenigsten nicht so viele Ausländer her”

Er hat im Training auch tschechische und polnische Sportler, sowie einen Dunkelhäutigen zusammen, der auch schon starke Tuniere gewonnen hatte. Dessen Spitzname sei „Neger”.

Muslime nimmt er nicht mehr auf. Probiert hat er es mal. Die gucken immer so böse und sprechen dann beim Training nicht deutsch. Die will er hier nicht mehr haben und erklärt das auch regelmäßig den Ämtern, wenn die welche bei ihm „integrieren” wollen.

Nur muslimische Mädels jedoch würde er trainieren, damit sie sich gegen ihre Typen mal wehren könnten. Aber die dürfen ja nicht. Denen wird ja alles verboten.

Als er mal ein paar Muslims in seiner Schule hatte, hat er ihnen als ersten ein Mädel aus Moldavien als Sparingspartner geschickt: “Da haben die aber doof geschaut, als sie von der was auf die Mütze bekommen hatten”.

„Ich bin der Kickboxer mit der Trompete”

Die Musik hatte ihn sein ganzes Leben begleitet.

Wir sprechen ungefähr noch zwei Stunden und erzählen uns viel über unsere Familien. Ich habe das Gefühl, mit einem Menschen zu sprechen, dem ich ohne Sorge meine Geldbörse anvertrauen könnte. Er willigt ein, bei meiner Theaterinszenierung mitzuwirken.

Als ich hinausgehe, entdecke ich Zeitungsartikel an seiner Wand, aus denen hervorgeht, dass er 2010 Kickboxweltmeister wurde. Sein Schüler mit dem Spitznamen „Neger” bekam 2014 die Bronzemedailie bei der Weltmeisterschaft.

4 Monate später proben wir seinen Auftritt als Musiker in meiner Inszenierung „Gerechtigkeit für Sachsen“ am Gerhart – Hauptmann Theater in Zittau in einem Raum in seiner Kickboxschule. Wir diskutieren auf scharfe Weise die politische Lage in Deutschland. Dann lassen wir die Politik hinter uns und machen Musik. Er singt einfühlsam mit wunderschöner Stimme. Spielt Trompete. Geht in seiner Musik auf, als könnte dieser Mensch nie etwas mit „Kampf“ zu tun haben.

Am 03. Oktober stehen er, Ali aus Afghanistan, Bürger aus Hagenwerder und ich gemeinsam auf der Bühne.

Während der Aufführung zittiere ich ein Paar syrische geflüchtete Jugendliche. Die Jungs sehen echt gefährlich aus. Einer meint plötzlich „Heimat, ist dort, wo Mutti ist“.

Rene Teuber singt ein sensibles Lied über „die Mutter“, widmet es quasi so dem syrischen Jungen und meint:

„Heimat ist dort, wo man sich zu Hause fühlt.“

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Kennen Sie das Gefühl, dass Sie einfach nur stören? Herzlich Willkommen in Zittau!

Georg Genoux unterwegs in Sachsen
© Felix Kriegsheim

 

Tagebucheintrag, vom 25. Mai 2018

Seit über 20 Jahren reise ich an die verschiedensten Orte slawischer Länder, um dort mit Menschen vor Ort Theater zu machen. Noch nie bin ich bei dem Versuch der Kontaktaufnahme so oft gescheitert wie in Zittau, Hagenwerder und anderen sächsischen Städten.

Damit meine ich gar nicht einmal die augenscheinlich „rechten“ Jugendlichen am Bautzener Bahnhof, die mich mit den Worten “Verpiss dich, Alter!” wieder wegschicken wollten.

Viel schwieriger war es beispielsweise mit Geflüchteten oder den Ortseinwohnern Sachsens, die man so auf der Straße traf. Sie ließen mich regelrecht auflaufen. Die Geflüchteten wollten entweder nicht mit mir sprechen – oder aber sie erzählten mir genau das, wovon sie glaubten, was ein linksliberaler Mensch hören möchte.

Eisbecher und Fußball auf der Playstation

Die Geflüchteten und Ortseinwohner Sachsens haben sehr viel gemeinsam: Beide wollen sie in Ruhe gelassen werden von dem Mann, der ihnen ihre Geschichten klauen und damit Theater und Film machen will.

Eine Gruppe afrikanischer Jungs, mit denen ich einen Monat versucht hatte Kontakt aufzunehmen, spielten lieber eine „Fußball“ mit der Playstation auf ihrem neuen Plasma-Bildschirm im Wohnheim.

Die Ortsbewohner essen lieber große Eisportionen in riesigen Eisbechern. Nie habe ich einen Ort gesehen, in dem so viele Menschen so große Eisportionen essen.

Beide Gruppen leben parallel in ihrer eigenen Welt, kommen kaum miteinander in Kontakt, und wollen vor allen Dingen nicht gestört werden.

Ich bin wahrscheinlich hunderte von Kilometern in Zittau und Umgebung durch die Straßen gelaufen, um Menschen für mein Theaterstück zu gewinnen. Nicht ein Mensch, den ich auf der Straße ansprach, erklärte sich bereit in meiner Theaterinszenierung mitzuwirken. Das Interesse der afrikanischen Jungs nahm tagtäglich ab, je mehr sie erfuhren, das ich sie darum bitten würde, etwas über sich zu erzählen. Überhaupt etwas von sich preiszugeben scheint für die meisten von ihnen und den Menschen aus Zittau und Sachsen eine Qual zu sein.

Desinteresse in Sachsen?

 

Die meisten Jugendlichen und Erwachsenen wollen nicht mit fremden Kulturen in Kontakt kommen. Warum soll man sie dazu zwingen? Keiner spürte ja gar eine Notwendigkeit.

Vieler meiner afrikanischen Freunde nannten Zittau “einen Ort von alten Menschen

Ja, selten in Deutschland habe ich so viele Menschen mit Rollator gesehen. Die meisten Menschen in der Umgebung von Zittau wollen einfach nur für sich sein. In der Bimmelbahn zum Gebirgsausflugsziel Olbyn bleiben Deutsche und Polen unter sich. Steigen Deutsche ein, werden die Deutschen von den Deutschen freudig begrüßt. Steigen die Polen ein, begrüßen sie nur – und etwas zurückhaltender – die anwesenden polnischen Fahrgäste.

Afrikaner begrüßen auf der Straße Afrikaner, und die Deutschen die Deutschen. Deutsche Mädchen würden nie händchenhaltend mit einem Afrikaner oder Afghanen durch die Straßen Zittaus laufen.

Chemnitz scheint sehr fern zu sein

Es ist allerdings sehr friedlich in dieser Stadt. Ich spüre keine besondere Aggression der Gruppen. Chemnitz scheint sehr fern zu sein. Die meisten Zittauer, mit denen ich sprach, stören die Migranten auch nicht, so lange sie “unter sich bleiben”. Oder wie in der kleinen Nachbarstadt Ostritz es nur eine Familie gibt, die “immer höflich grüßen”.

Ostritz wurde ja in den vergangenen Jahren bekannt, weil dort Neonazis Hitlers Geburtstag in einem Hotel feierten. Weniger bekannt ist dagegen, dass die Mehrheit der Einwohner eine Gegenfeier für Toleranz und Miteinander organisierten. Wobei auch AfD-Wähler dabei waren.

„Ausländer werden hier nicht gemocht, aber stören tun sie auch nicht besonders”, wie mir eine Gruppe von sportlichen Jugendlichen auf einem selbstgebauten Skaterplatz versichern. Nur plötzlich bricht es aus einem der Jungs heraus:

‚Wenn diese Typen denken, sie können mit unseren Mädels so etwas machen wie mit denen in Köln damals, dann brennt hier aber die Hütte‘. Er kriegt sich vor aufsteigenden Hassgefühlen kaum wieder ein. Die anderen Jungs ignorierten seinen Wutausbruch. Schon bald sind sie schon wieder auf ihren Rennrädern und Skateboards auf der Rampe.

Warum mich ausgerechnet Zittau so interessiert?

„Es gibt doch die Orte, wie Bautzen oder Hoyerswerda, wo die ‚Hütte schon brannte‘. Wo ich Neonazis offen auf der Straße so selbstverständlich spazieren gehen gesehen habe, wie Punks in Berlin Kreuzberg und Ottensen in Hamburg. In Zittau habe ich nicht einen Neonazis gesehen. Es gibt keine Gewalt gegen Migranten. Die KellnerInnen in den Cafes sind sehr bemüht freundlich, wenn ich dort mit einem der afrikanischen Jungs sitze. Sie fragen mich immer sehr höflich, ‚was er denn bestellen möchte‘

Georg Genoux

In dieser Ratlosigkeit traf ich hier auf einen Kickboxer, eine Tierpflegerin und die kleine Stadt Hagenwerder mit 700 Einwohnern, die mein „sächsisches Leben“ auf den Kopf stellten. Doch davon später mehr in meinem Tagebuch …

Das Leben: Ein Zoo in Sachsen?

24. Mai 2018.

Ich treffe mich mit der Tierpflegerin.

Auf dem Weg vom Eingang zu unserer „Gesprächsbank” bei den Wollschweinen führt sie einen ausgiebigen Dialog mit einem Papagei. Die Tierpflegerin demonstriert mir, dass sie hier wie zu Hause ist. Als wir und setzten, sehe ich, wie aufgeregt sie wegen unseres Gesprächs ist. Sie lacht viel. Erzählt mir über ihre Beziehung und Freundschaft zu dem Papagei. Sie ist in diesem Tierpark „aufgewachsen”. Dann später hat sie hier auch zu Arbeiten angefangen.

Papagei im Zittauer Zoo
© Felix Kriegsheim

Plötzlich hat sie Tränen in den Augen, als sie mir die Geschichte eines Pferdes hier aus dem Tierpark erzählt, das sie hier hat aufwachsen sehen und das jetzt ihr eigenes ist.

Sie erzählt mir folgende Geschichte:

“Hier im Tierpark sind viel Tiere aus vielen verschiedenen Ländern hergekommen. Der Nasenbär, zum Beispiel, ist ein Südamerikaner. Ist in Südamerika beheimatet und hat hier bei uns die Aufgabe, sich bekannt zu machen. Sich einen bekannten Namen zu machen. In einer Heimat, die für ihn völlig fremd ist. Das Tier ist ja auch für uns hier völlig fremd.

Letztes Jahr im Herbst. Da ist ein neuer Zwergseidenaffenmann für unsere Zwergseidenaffendame dazugekommen. Die hat viele Jahre – also einige Jahre, viele Jahre sind es gar nicht – hier verbracht. Mit einem Senior. Also mit einem Zwergseidenaffenmann, der schon sehr sehr alt war. Und den hat sie begleitet bis zum bitteren Ende. Sag ich mal. Und dann war sie plötzlich alleine. Und wir haben uns dann umgehorcht. Wir konnten recht schnell jemanden finden, der geeignet ist. Und jetzt haben die beiden ihren ersten Nachwuchs, den sie bei uns aufziehen. Das ist eine tolle Geschichte.

„Die müssen sich ja aber auch erst mal kennenlernen“

Es ist ja nicht so , dass wir die Tiere gleich aufeinander schmeissen – sage ich mal so –  das geschieht schon mit einer gewissen Behutsamkeit. Das Tier kommt an. Es kann sich erstmal aklimatisieren.

Am unkompliziertesten ist das immer bei Tieren, die sowieso im Gruppenverband leben. Die von Natur aus sehr familär, sehr aufgeschlossen anderen Artgenossen gegenüber sind. Da funktioniert es reibungslos. Es ist natürlich immer schwierig ein Einzeltier in eine bestehende Gruppe zu bringen.

Aber gerade, weil wir ja bei den Zwergseidenaffen waren:

Da ist es so, da kann es schon ziemlich haarig zugehen. Und zwar so, dass Gruppen teilweise auseinanderbrechen, dass mit Toten und Verletzten zu rechnen ist. Das braucht sehr viel Einfühlungsvermögen, sehr viel Fingerspitzengefühl. Und Kenntnis über die Reaktion der Tiere. Also ich komme, ich gucke, ich weiß genau, hier ist etwas nicht in Ordnung.

Es ist Aufgabe der Tierpfleger auch genau zu wissen, wann was nicht in Ordnung ist. Und das in minimalsten Maße. Weil je später man etwas entdeckt, umso gravierender sind die Auswirkungen. Also, man kann viel im Vorfeld vermeiden, wenn man gut beobachtet und seine Tiere genau kennt. Dann kann man so vieles vermeiden. Also man muss eine Wage finden, zwischen „was kann man den Tieren zumuten und was ist zumutbar?“

Was ist grenzwertig? Da ist viel Bauchgefühl. Viel Intuition. Aber wir sperren ja das eine Tier zum anderen. Da müssen wir auch die Verantwortung tragen. Es kommt so auf die Art an. Wie man Kontakt zu einem Tier aufnimmt. Weil ein Affe ist ein anderes Tier als ein Papagei. Und ein Papagei ist ein anderes Tier als ein Nasenbär.

Georg Genoux im Zittauer Zoo
© Felix Kriegsheim

Man redet erstmal … man guckt vorsichtig, man lugt in die Kiste rein, ja. Man guckt sich das erstmal an. Die Tiere sind meistens sehr zurückhaltend. Sehr aufgeregt. Man versucht dann mit der Stimme, mit der eigenen Stimme ruhig und auf die Tiere einzuwirken und ihnen zu erklären, das alles gut ist. Du bist in Sicherheit. Das ist schwierig für die Tiere zu verstehen. Weil die verstehen ja nicht unsere Sprache. Bei Affen sind immer Kontaktlaute wichtig. Also da versucht man schon die Kontaktlaute zu imitieren.

Auch bei Nasenbären, dann kommt dann sofort eine Reaktion, wenn ich anfange zu zwitschern, dann sind sie am Zaun, das funktioniert … ja und … wenig über Körperkontakt. Also über Körperkontakt geht ja im Prinzip nur bei Tieren, die das kennen. Ich sag mal ein Pferd, da nimmt man ganz anders – wie soll ich das erklären – da geht man schon über Körperkontakt, über Streicheln, über Anfassen, über das „in die Nüstern pusten“. Und reden, auch beruhigt reden.

Im Zittauer Zoo.
© Felix Kriegsheim

Bei Kamelen ist es so, die kommen an und da ist der Kopf sofort im Gesicht. Das muss man wissen. Weil die Kontakt aufnehmen über Nüsterpusten. Die pusten sich gegenseitig in die Nüstern. Und nehmen so den Geruch des anderen war. Und Du wirst da jetzt reingehen und die kommt dann zu Dir und wird Dir die Gusche (lacht) ins Gesicht strecken. Und du pustest ihr dann solange in die Nase, bis sie Dir ins Gesicht pustet. Und dann ist das geklärt.

Also ich liebe manchmal diese tiefe Entspanntheit, die die Tiere so haben und leben. Trotz der ganzen Kacke, die manchmal um sie herum ist. Ist ja auch nicht immer einfach als Zootier. Wenn man als Löwe so 24 Stunden am Tag auf der Anlage stehen soll, weil der Zuschauer das gerne so sieht. Das ist auch nicht immer einfach. Oder das von A nach B geschickt werden, weil man in einem Zuchtprogramm dient.

Das ist für die ganz schön schwer. Bei den Elefanten ist das ja so Gang und Gebe. Das die Bullen so ein paar Jahre hier sind, dann ein paar Jahre dort sind. Die müssen sich immer wieder neu finden. Integrieren. Es ist schon bemerkenswert, wie die das meistern. Im Zooleben. Wir reden ja jetzt über das Zooleben. Es ist schon beeindruckend, wie gerade die Tiere das so meistern. Sich da gut einfügen. Meistens.

Alfa spricht mit Emma und Ali mit einem Baum

23. Mai 2018.

Mittags.

Ich versuche vergeblich die Tierpflegerin im Zoo anzusprechen. Immer wieder verschwindet sie dort, wo ich nicht hin kann. Ich habe das Gefühl, dass besonders die Kamele meine Versuche spöttisch verfolgen.

Als ich sie dann zufälliig an der Kasse abpassen konnte, scheint sie sehr erschrocken. Ein Gespräch müsse erst mit der Zooleitung abgesprochen werden.

Am frühen Abend.

Ali und ich sitzen im Cafe der Hillerischen Villa. Ich trinke Bier. Ali entscheidet sich für eine Limonade. Das ist dann „näher dran an Ramadan”.

Ali erzählt mir folgende Geschichte:

“Ich war im Wohnheim in Hirschfelde. Wir waren zehn Jungs, aber niemand hat miteinander geredet. Wir kannten uns nicht. Eine Woche lang war ich in meinem Zimmer. Im Zimmer, in der Küche und Toilette. Dann wieder im Zimmer.

Danach wollte ich rauskommen. Ich wollte an die frische Luft. Ich wollte den Himmel sehen. Ich wollte was anderes sehen.

Alfa und Georg Genoux in Zittau
© Felix Kriegsheim

Da habe ich gesehen, dass es um uns herum nur Bäume gibt. Wenn man auf der Straße steht, kommt vielleicht nach drei Stunden ein Autor vorbei. Da war eine lange Straße, die nach Ostritz führt. Man kann auf ihr Fahrrad fahren, rennen und laufen.

Ich bin auf dieser Straße gerannt und wollte das Ende sehen. Aber drei Minuten: Bäume. Zehn Minuten Bäume. 40 Minuten Bäume. Außer den Bäumen habe ich nichts gesehen.

Georg und Ali im Gespräch
© Felix Kriegsheim

Diese Straße wurde zu meiner Lieblingsstraße, zu meiner Sportstraße. Meine „Allein-Zeit Straße”. Wenn ich weinen wollte, war ich auf dieser Straße. Immer wenn ich nervös und unruhig wurde, lief ich durch diese Straße. Und es waren immer nur Bäume dort.

 

Und man beginnt mit den Bäumen zu reden.
Ich bin allein hier.
Was soll ich machen?

Ich habe zwischen den Bäumen gestanden und geweint, weil ich allein war. So habe ich mit den Bäumen angefangen zu reden. Ich war sehr wütend und nervös.  Ich habe sie immer wieder gefragt, warum ich hier allein bin. Warum kann keiner mit mir reden? Warum kann keiner meine Sprache? Ich wusste auch nicht, dass es Zittau gibt oder den Olbersdorfer See.

Dann habe ich Tobias kennengelernt. Er war Betreuer. Er war auch ein Renner. Dann sind wir zusammen im Wald gerannt.

Es ging auch den anderen Jungs so. Später haben wir immer wieder Spaß gemacht: „Wir haben viele neue Freunde hier gefunden. Das sind die Bäume”.

Dann kommt der für mich aufregendste Teil des Tages.

Ich hatte Alfa gleich beim ersten Treffen versprochen, dass ich ihn mit einem deutschen Mädchen bekannt mache, um dann gemeinsam einen Kurzfilm übereinander zu drehen. Einer Schülerin aus der alternativen Schule in der Oberlausitz. Bis dahin bekam ich nur Absagen von deutschen Jugendlichen, sich mal mit einem meiner jungen afrikanischen Freunde zu treffen.

Emma ist tatsächlich zu unserem Treffen gekommen. Wir treffen uns mit ihr etwas früher, um die ganze Sache zu besprechen. Ein sehr hübsches Mädchen. Sie interessiert sich für Kunst und ökologischen Landbau. Es hatte sie sehr berührt, als ich ihr am Telefon erzählte, dass ich hier mit afrikanischen Jungs unterwegs bin, die nie im Leben in Zittau länger als zehn Minuten mit einem Gleichaltrigen geredet hatten. Ich frage sie ob sie sich vorstellen könnte, einen dunkelhäutigen Freund zu haben. Sie überlegt lange. Nur wenn er ihr sehr wichtig wäre, denn sie müsse dann dafür hier einstehen.

Später kommt Alfa dazu.

Beim Treffen ist Emma sehr nett zu Alfa. Er ist zuerst sehr nervös. Das Gespräch führt Emma. Immer wieder versichert sie sich mit einem Blick zu mir, ob ihr Sprechen “in Ordnung sei”. Schließlich taut er auf. Er spricht plötzlich sehr offen, wie sehr er sich in Sachsen unwohl fühlte.

Sie erzählen sich viel übereinander, sein Deutsch wird immer besser. Am Ende des Treffens vernetzen sie sich über facebook, Instagram und Whatsapp.

Wir sprachen viel darüber, wo man feiern und tanzen kann. Es gebe in Tschechien tolle Technokonzerte im Wald, meint Emma. Sie würde aber auch nicht wissen, ob Alfa dort sicher wäre. Sie überlegt, wo sie Alfa mal mit zum Feiern nehmen könnte. Emma und Alfa bleiben deshalb über soziale Medien in Kontakt.

Der Junge aus Sierra Leone

17. Mai 2018.

Marktplatz in Zittau
© Felix Kriegsheim

Ich schlafe die Nacht sehr schlecht.

Und stehe anstatt um 7 Uhr erst um 9 Uhr auf. Um 10 Uhr muss ich schon mein Pensionszimmer räumen. Für eine weitere Nacht in Zittau muss ich in eine andere Pension ziehen, bevor meine kleine Auszeit in Berlin beginnt.

Ich brauche etwas länger Zeit, habe aber alles aufgeräumt und gepackt. Gehe noch schnell duschen.

Während ich noch unter der Dusche stehe, schlägt es 10 Uhr und der Haus- und Pensionsbesitzer Herr Zwahr kommt einfach mit dem Zimmermädchen in mein Zimmer, um aufzuräumen. Ich höre die Stimmen, teile ihnen durch die Badezimmertür mit, dass ich jetzt nackt aus dem Bad kommen werde. Sie verlassen den Raum.

Um 10.07 Uhr öffnet er nochmal die Tür. Ich stehe noch in Unterhose. Ich sagte zu ihm: „Zu Ihrer und meiner seelischen Gesundheit wäre es doch besser, wenn Sie jetzt die Tür schließen und mir zehn Minuten geben”.

Antwort: „Dafür gibt es Wecker.”

Mehr haben wir uns nicht mehr zu sagen. Das Zimmermädchen grüßt mich freundlich. Ich verschwinde.

Der Junge aus Sierra Leone

Ich treffe mich jetzt zum dritten mal mit Alfa aus Sierra Leone. Diesmal in einer Konditorei. Die dort arbeitende Kellnerin ist sichtbar bemüht, uns so nett wie möglich zu bedienen. Nachdem sie mich nach meinen Wünschen gefragt hatte, hakte sie sehr freundlich nach, was „er denn” haben möchte. Ich bitte die Dame, Alfa direkt zu fragen und sie schaffen die Bestellung dann auch für beide Seiten zufriedenstellend.

Über manche Dinge, die Alfa gesagt hatte, muss ich häufig nachdenken:

„Wir hatten Probleme in unserer Heimat gehabt. Besonders ich. Aber darüber will ich nicht sprechen. Es tut mir Leid.“

„Das erste, was ich von Deutschland gehört habe, war Mesut Özil. Er gefällt mir sehr. Und Arsenal ist mein Lieblingsverein. Aber Mesut Özil kommt ja aus Deutschland“

„Ehrlich gesagt, möchte ich ein Mädchen in Zittau kennenlernen. Ihre Schönheit ist nicht so wichtig. Ich möchte einfach eine nette Freundin haben. Ich bin da ganz langweilig. Ich möchte einfach eine Freundin haben. Egal ob sie schön ist oder nicht. Sie soll sich gut unterhalten können und nicht immer böse sein.

Aber ich habe in Zittau bisher kein Mädchen auf der Strasse gesehen, dass mir gefällt. Ich könnte hier nie ein Mädchen auf der Straße oder in der Bahn ansprechen, denn die Menschen sehen hier immer irgendwie böse aus. Es hat mich hier bisher nie ein Mädchen angelächelt.

Es ist schon schwierig genug, deutsche Freunde hier zu haben. Ich habe nie länger als zehn Minuten mit jemanden in meinem Alter gesprochen. Es gibt kein Vertrauen. Das geht hier irgendwie nicht in Zittau. Ich weiß nicht, wie man hier die richtigen Leute kennenlernen kann.

Als ich in Zittau ankam, hat mich ein Polizist direkt ausgeschimpft, und meinte, dass ich hier in Deutschland wohl ins Paradies wolle. Später bin ich auf auf dem Marktplatz in Zittau Spazieren gegangen und ein Mann im Auto hat mir im Vorbeifahren einfach so den „Fuckfinger“ gezeigt. Ich habe nichts gemacht. Ich bin einfach weitergegangen. Andauernd werde ich hier angestarrt.

Anderen Afrikanern tut das sicher weh. Mir ist es egal. Ich kenne diese Probleme noch aus meinem Land. Wir haben verschiedene Stämme und wir machen das auch. Das ist nicht fremd für mich.

„Ich komme aus Sierra Leone. Wir haben sieben Million Einwohner und 17 Stämme. Wir haben jetzt keinen Krieg, aber die Menschen beschimpfen sich.“

„Ich werde in Sierra Leone oft beschimpft, denn meine Mutter kommt aus Guinea. Mein Vater kommt zwar aus Sierra Leone, aber ich sehe wie jemand aus Guinea aus. Ihr aus Europa könnt uns nicht unterscheiden, aber die Menschen in Sierra Leone können das.

In der Schule waren die anderen Schüler immer verwundert, dass ich so gut Englisch sprechen konnte und glaubten mir nicht, dass ich aus Sierra Leone komme: “Geh zurück in Dein Land”. Sie haben noch viel schlimmere Sachen zu mir gesagt. Aber immer, wenn jemand etwas böses zu mir gesagt hatte, dachte ich an einen Gospel Song von Coco Jones von und dann ging es mir wieder gut.

Ich weiß nicht, warum sie Menschen aus Guinea nicht mögen. Es ist wie hier in Deutschland. Niemand mag Ausländer. Nicht nur in Deutschland, sondern überall.

Die Ausländer kommen in mein Land. Und nehmen zum Beispiel unsere Arbeit, unser Essen oder unsere Girls oder so, weg.

Deshalb ist der Hass auf mich nicht fremd für mich. Die Menschen hier in Sachsen sind bestimmt nett – haben aber ein Problem mit dem Vertrauen. Ich habe kein Problem in Sachsen zu leben. Wenn es nicht schlimmer wird. Dann würde ich lieber in Baden-Württemberg leben. Oder in Berlin. Da gibt es Multi-Kulti. Also. solche Probleme gibt es dort nicht.

An meinem ersten Schultag hier, wurde ich von einem deutschen Mädchen gefragt, warum ich schwarz sei. Ich antwortete ihr: Gott hat es mir nicht gesagt.“

(Aus Sicherheitsgründen für ihn wollte Alfa nicht, dass wir ein Foto von ihn veröffentlichen).

 

Schlagerparty in Zittau

16. Mai 2018.

Laut meiner App, und dem Fußweg-Navigator braucht man 22 Minuten zum Tierpark. In Zittau kommen einem selbst 22 Minuten wie eine halbe Ewigkeit vor.

„Kaffee Konzert mit Eckhart Teuber“,
steht auf dem Biergartenschild des
Wirtshauses „Zur Weinbau“ im Tierpark

Auf Bänken unter Sonnenschirmen versammeln sich ungefähr 50 grauhaarige Senioren. Bier, Kaffee, Limonade und vereinzelt deftiges Essen sind auf den Holztischen zwischen den Bänken serviert.

Speisekarte im Zittau
© Felix Kriegsheim

Alle schauen auf Eckhart Teuber, der hinter seinem Syntesizer die Hits der 80er und 90er Jahre spielt und singt. Hinten links von ihm steht auch sein Mercedes Kombi mit der Aufschrift “Kickboxschule Olbersdorf”. Es scheint der Bruder des Sängers zu sein, mit dem ich mich für Dienstag verabredet hatte.

Eckhart Teuber ist ein bulliger, sehr kräftig gebauter Mann. Mit guter Stimme. Er singt deutschen Schlager von Udo Jürgens.

An Tom Jones kann er sich gut erinnern und erzählt: In seinen jungen Jahren konnte sich Tom Jones gar nicht vor der Unterwäsche seiner zahlreichen weiblichen Fans retten. Die schmissen ihre BHs und Schlüpfer einfach auf die Bühne. Irgendwann habe er aber darum gebeten, damit aufzuhören – da mit den Jahren auch „die Konfektionsgrößen immer größer wurden”.

Dann bittet er die „feschen Mädels” im Publikum (er meint damit die anwesenden älteren Damen) davon abzusehen, dasselbe zu tun. Er sei erstens schon vergeben und zweitens seien wilden Jahre schon längst vorbei.

„So und jetzt noch ein Lied von Tom Jones – natürlich. Auf Wunsch von der Toilettendame. Es heißt: „Help yourself“ … es geht da wohl um die Herrentoilette“

Zwischen den Liedern wirbt er immer wieder für seine Visitenkarte, frotzelt mit den stämmigen Würstchenverkäufer Uwe und reißt weitere Witze. Besonders begeistert nimmt das Publikum sein Gedicht über das Trinken auf:

„ … die Sau war nie blau. Der Hund macht den letzen Japs – mit nur 15 Jahren auch ohne einen Schnaps. Das Pferd tut sich auch ohne Promille übergeben …

.. aber der Mensch tut sie alle auch mit viel Alkohol überleben”

Dann wird das Lied „Prosit auf die Gemütlichkeit“ gesungen. Die vier älteren Damen mit Topfhaarschnitt und Rentnerjacke auf der Bank vor mir, schunkeln und singen mit.

Eckhart Teuber zur Menge:  „Prost, ihr Säcke!”
Menge zu Eckhart Teuber: „Prost, du Sack!”

Ich fühle mich mit meiner Rhabarberschorle sehr fehl am Platz. Ich glaube, dass ich durch meine Art zu sprechen, mein Bewegung und meine Kleidung sichtbar nicht hierher und vor allem nicht dazu gehöre. Ich denke ich falle auf. Die Lausitzer haben so ein Talent, einen genau zu beobachten und zu studieren, ohne dabei überhaupt jemanden anzusehen.

Ich höre das ja auch, wie die vier Damen vor mir, Bekannte und Fremde studieren und besprechen. Es bleibt meistens kein gutes Haar an ihren Beobachtungsobjekten.

Georg Genoux wartet auf die Tierplfegerin
© Felix Kriegsheim

Was werden sie über mich sagen, nachdem ich verschwunden bin?

Was wäre hier los gewesen, wenn ich zusammen mit den afrikanischen Jungs, mit denen ich mich jetzt regelmäßig treffe, aufgekreuzt wäre?

Nach der Feier im Biergarten beobachtete ich im Tierpark sehr lange eine Tierpflegerin, die sich mit großer Liebe und Geduld um ein paar Schweinchen kümmerte. Ich stehe dabei im “Streichelgehege” und ignoriere ein Schaf, das seit einiger Zeit versuchte, mit mir Kontakt aufzunehmen. Als ich losging, boxte es mir mit seinen Hörnern spürbar in die Unterbeine …

Auf einen Tee mit Ali

03. Mai 2018.

Morgens.

Ich rufe Herrn Zwahr an. Der Inhaber der Pension, in der ich in Zittau lebe.

Herr Zwahr ist sicher über 70 Jahre alt. Vor zwei Jahren hatte ich schon bei ihm gelebt. Damals hatte er große Sorgen um das Wohl seiner Gäste. Jetzt sei seine Frau erkrankt und er müsse sich um alles alleine kümmern, erzählt er mir heute.

„Guten Tag Herr Zwahr. Wo könnte ich meine Wäsche bei Ihnen waschen?
„Ach Herrje!“

„Ich gehe gleich aus dem Haus. Wo könnte ich denn meine Wäsche bei Ihnen waschen?“
„Ohje, ohje, ohje …“
„Ja, ohje!“

„Das ist ganz schwierig.”
„Was ist schwierig?”

Wir einigten uns schließlich darauf, dass ich die Wäsche in einem Sack vor meiner Zimmertür hinstelle und er sie “einwirft”.

Ali, 19 Jahre alt, Geflüchteter aus Afghanistan

Mittags, um 13.00 Uhr traf ich mich mit Ali, Geflüchteter aus Afghanistan. 19 Jahre alt. Er macht gerade seinen Hauptschulabschluss, bemüht sich sehr um anschließend einen Ausbildungsplatz zu finden. Dann habe ich alles”, sagt er.

Ali und Georg Genoux im Gespräch über Heimat
© Felix Kriegsheim

Er ist überzeugt, um in Deutschland überleben zu können, müsse man einfach immer ja” und Dankeschön” sagen. Sogar das „noh”, was im Ortsdialekt wiederum „ja” bedeutet, baut er immer wieder in seine Sätze mit ein.

Ali spielte eine der Hauptrollen in einer Inszenierung im Gerhart-Hauptmann-Theater in Zittau. Zuvor war er noch nie in einem Theater.

Einmal wurde er auf dem Weg zur Probe von zwei Polizisten in Zittau angehalten und vorübergehend aufgehalten. Seine Papiere werden kontrolliert. Alles in Ordnung. Der eine Polizist ist dennoch misstrauisch und will ihn nur gehen lassen, wenn er ihm etwas über Shakespeare erzählen würde. Dann erst sei er auch sicher, dass er wirklich Schauspieler sei.

Ali und Georg Genoux im Gespräch
© Felix Kriegsheim

Ali zeigt mir seine 1-Zimmer-Wohnung. Wir trinken Tee. Früher lebte er in einem Flüchtlingsheim in Hirschfelde. Jetzt allein in Zittau, wird er von verschiedenen staatlichen Programmen unterstützt und lernt mit aller Kraft für seinen Abschluss. Viele Bücher stehen im Raum, Plakate und Fotos von seinem ersten Auftritt im Theater.

Heimat ist für mich Mutti …

Er habe immer viel Besuch bei sich zu Hause, erzählt. Deutsche seien – abgsesehen von seinen Betreuern – nie dabei.

Sein Kühlschrank sei oft „zu leer für Besucher“. Im Monat habe er nur 200 Euro zu leben. Von den ungefähr 400 Euro (Hartz IV) müssen noch 90 Euro für den Strom, etwas für seinen Internet- und Handyvertrag sowie für den Handyvertrag seiner Freundin abgezogen werden.

Er kann mir nicht die Wahrheit erzählen, und erklären, warum er Afghanistan verlassen musste. Heimat sei für ihn “Mutti”. Das wichtigste im Leben sei, sie noch einmal wiederzusehen.

… und das wichtigste ist, wenn Vati und Mutti glücklich sind!“

Wir sprechen über Frauen. Die Deutschen Mädchen hier würden ihm keine Aufmerksamkeit schenken. Er hat deshalb nur Liebschaften mit Mädchen, die, wie er, aus muslimischen Ländern kommen. Mit allen würde er schlafen, aber nur mit Kondom, wie die Heimleitung seines ersten Asylbewerberheims ihm sehr nahegelegt hätte.

Er war sehr in eine junge Frau aus Syrien, die in einem anderen Asylbewerberheim lebete, verliebt. Sie in ihn auch. Aber der Vater war gegen die Beziehung und schlug das Mädchen. Jetzt ist sie mit einem Syrer verheiratet. Es sei das Beste für sie, den das wichtigste sei, wenn Vati und Mutti glücklich sind”.

Er verspricht mir, mir am Dienstag seinen Lieblingsort zu zeigen:
Ein See bei Zittau. Wir sind jetzt eine Familie“, verabschiedete er sich von mir. Schließlich war ich bei ihm nun zu Gast und Tee habe ich auch schon bei ihm getrunken.

Abends.
Meine Wäsche steht noch ungerührt vor meiner Zimmertür.

Auf nach Sachsen, noh!

02. Mai 2018.

Es geht los: Zugfahrt nach Zittau

Nachdem ich meinen inneren Schweinehund überwunden hatte, und mich endlich Klein-Paris, nämlich Ottensen in Hamburg und die Oase Kreuzbergs in Berlin verlassen hatte, stellte sich plötzlich Freude beim betreten der Regionalbahn nach Cottbus ein.

Reisefieber.

Es geht wieder los. Umso glücklicher schläft man auf seinem Platz wieder ein. Fahrt: Eine Stunde und neun Minuten. Von Berlin Ostkreuz. Dann Umstieg in Cottbus. In die angenehmste Regionalbahn Deutschlands. Cottbus – Zittau: Eine Stunde und zweiundfünfzig Minuten.

Mit Grauen erinnere ich mich an die unhygienischen Bahnen und muffeligen Menschen in den Regionalbahnen zwischen Berlin und Hamburg und Umkreis. Hier aber ist alles sehr sauber, sehr gepflegt. Die Toilette, groß und wie einem schönen Hotel. Sehr höfliche und gepflegte Menschen. Man sieht auch kein sogenanntes ”soziales Elend”, wie es sonst auf der Strecke „Hamburg-Berlin“ üblich ist.

Zwei Euro für ein kaltes Radeberger

Die lustige, immer hilfsbereite Schaffnerin betreibt auch ein kleines Bar-Bistro als Nebenverdienst. Zwei Euro für ein kaltes Radeberger, das einem schnell mit einem Lächeln und einem “Genießen Sie die schöne Fahrt” serviert wird. Das ist wirklich nicht übel.

Der Mann in der Sitzreihe nebenan, Kahlkopf, mit Kugelbauch und langen Spitzbart bestellt gleich drei Bier. Zwei packt er in seinen knallgelben Rucksack. Mit dem Rest genießt er die schöne Fahrt. Ich überlege ein Gespräch mit ihm anzufangen. Kann dann aber doch nicht meinen inneren Schweinehund (Mist!) überwinden. So genieße ich die Fahrt erst einmal alleine.

Ciao Berlin, ciao Hamburg. Hallo Sachsen.

Doch etwas ist anders. Ja, ich bin nicht mehr in Kreuzberg oder Ottensen. Es sind kaum Ausländer im Abteil. Ein farbiger Fahrgast wirkt wie ein verlorener Fremdkörper. Er fühlt sich sichtbar nicht wohl in seiner Haut. Ganz anders wiederum die Gruppe der mitreisenden Damen aus Schleichen nach Horka: Gute Laune, es wird gelacht,  kleine Schnäpschen und Bier getrunken. Ihr Gekicher wird zur Hintergrundmusik für die weitere Bahnfahrt.

Dann kommt der Moment, über den ich am meisten bei der Reise freue: Die Fahrt durch einen schier endlosen Wald schon kurz vor Zittau. Der Fluss ist noch für eine kurze Zeit durch die Bäume zu sehen. Dann nur noch Wald. Überall. Und ich mittendrin. Zwischen Blättern, die von den Lichtstrahlen der Abendsonne gebrochen werden. Ich freue mich wie ein Glückskeks.

„Meine Taxen sind alle besetzt für die Dialyse-Patienten“ (Taxifahrer in Zittau)

Dann in Zittau ist ist es schwierig ein Taxi am Bahnhof zu bekommen: “Meine Taxen sind alle besetzt für die Dialyse-Patienten. Aber versuchen Sie es mal bei Keppler.” Herr Keppler fährt mich dann persönlich in meine Pension.

Marktplatz in Zittau
© Felix Kriegsheim

Er freut sich, sich endlich bei mir über die andere Taxi-Zentrale aufregen zu dürfen (natürlich im aller-feinsten sächsisch): “Na wenn ich weiß, dass ich mehr Taxen brauche, dann setze ich doch mehr Taxis ein.”

Schwierig ihm zu widersprechen.