Projekt Mauer

Interdisziplinäre Film- und Theaterinstallation
von Georg Genoux und Anastasia Tarkhanova
9. – 18. Oktober 2020 auf dem Marktplatz in Zittau

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Weitere Informationen: Hier

Nächste Theatervorstellungen

18. Mai 2019 Premiere der zweiten Inszenierung von „Das Land, das ich nicht kenne“ im Rahmen des Festivals „Willkommen Anderswo IV“, organisiert vom Thespis Zentrum am Deutsch – Sorbischen Volkstheaters in Bautzen. 

21.Mai 2019 Neue Vorstellung der ersten Inszenierung des Projektes mit dem Titel „Gerechtigkeit für Sachsen“ im Rahmen des Festivals „Our Stage“, das von der Bürgerbühne des Staatsschauspiels Dresden organisiert wird.

 

„Längst ist Genoux in Hagenwerder kein Fremder mehr, eher ein Kuriosum. Die Leute können ihn nicht verorten: Mit seiner Freundin spricht er Russisch, er isst Hackbraten und trinkt Pfeffi wie ein Einheimischer. Genoux sagt: „Ich habe in Sachsen keine Rassisten getroffen. Ich habe nur Menschen getroffen, die Angst haben vor Fremden.“ Vor Fremden oder Fremdem? – „Beides.“ Viele hätten noch nie mit einem Geflüchteten geredet, glaubt er. „Man bekommt Hilfsbereitschaft nicht hin, indem man mit dem Finger auf Leute zeigt.“ Und hilfsbereit sind die Leute, darauf schwört er.“

So ein Drama – taz am Wochenende 21.10.2018. Sabine Seifert begleitete Georg Genoux fünf Monate lang bei der Verwirklichung seines Projekts.

Shooting at the refugee house

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I continue to teach German language at the refugee house in Bautzen. One day several children run out of the house. One little boy is clearly late to take the seat on the swing. He runs to figure the situation out. Another boy aims his water pistol at him and the little boy comes to the wall, turns his back and raises arms above the head as at real shooting.
I have seen not the children play, they have exactly repeated in physical memory what have once seen. 

Jeder schützt jeden

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Wieder treten die afrikanischen Jungs aus der Jugendwohngruppe in Zittau in mein Leben. Nicht nur, dass ich mich regelmäßig mit Alfa wegen unserer zukünftigen Premiere in Bautzen treffen, sondern auch mit Steffi Seurich, einer ihrer Betreuerinnen. Gestern erzählte sie mir eine Geschichte, die mir durch Mark und Bein ging.

Oft ist sie mit den Jungs Fußball spielen gegangen. D.h. sie schaut ihnen dabei zu. Einmal waren sie auf einem Fußballfeld, wie üblich mit 2 Toren. Es ergab sich dann so, dass der Fußballplatz quasi geteilt wurde. Also die deutsche Gruppe auf das eine Tor spielte und die afrikanische auf das andere. Keiner kam auch nur auf die Idee, dass man zusammen spielen könnte. Steffi versuchte mit ihren Jungs mal zu reden, ob diese nicht mal mit den Deutschen spielen möchten, diese winkten aber energisch ab.

Die deutschen Jungs schauten aber komisch auf Steffi und man sah ihnen an, dass sie nicht verstehen konnten, was diese deutsche Frau mit den afrikanischen Jungs zu tun haben könnte.

Als dann ein Ball der Deutschen zufällig zu Steffi flog, hielt sie ihn in den Händen und gab ihn den deutschen Jungs erstmal nicht wieder.

Spielt doch mal zusammen und nicht vereinzelnd!

Tatsächlich willigten beiden Seiten ein und nahmen das Spiel gegeneinander auf. Da die Afrikaner mehr waren, musste einer von ihnen bei den Deutschen spielen. Es wurde Fair gespielt.

Doch es herrschte eine Atmosphäre in der Luft, in der man ein Ei hätte kochen können. Sie spürte, wie angespannt und unwohl sich ihre Jungs fühlten.

Das Spiel ging ohne irgendwelche besonderen Vorkommnisse zu Ende. Ich wollte Steffi auch gar nicht fragen, wer gewonnen hatte, sondern sah ein Bild vor mir, dass fast alles beschreibt, was ich hier täglich erlebe.

 

Ein zweites Erlebnis hatte Steffi mit ihren und ein paar arabischen Jungs. Auch diese spielten getrennt voneinander Fußball auf dem Platz. Allerdings musste von den Jungs immer einer “Wache bei Steffi scheiben”, um sie nicht bei den Arabern allein sitzen zu lassen. Denn diese ließen sich  mehr und mehr um Steffi herum auf der Wiese nieder.

Die afrikanischen Jungs achten eh immer auf Steffi’s Aussehen, wenn sie gemeinsam Ausflüge machen. Der Rücken und der Hals darf nicht zu sehen sein.

An dem Tag entstand eine ungemütliche Atmosphäre um Steffi herum. Sie merkte, dass die anderen Jungs auf arabisch über sie sprechen. Schließlich kam Lamin, um bei Steffi Wache zu halten. Und sie merkte, wie nervös er wurde. Er hörte den Arabern zu und konnte sich keine ruhige Minute gönnen. Plötzlich faltete er verbal die Araber in deren Sprache messerscharf zusammen. Es herrschte danach absolute Stille. Lamin bat Steffi dann auf ihrem Fahrrad wegzufahren. Ein Araber fragte dann doch ganz erstaunt Lamin:

“Warum kannst du so gut arabisch”

“Ich habe 18 Monate in einem Flüchtlingscamp in Libyen gelebt”.

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Deutsche Werte

Seit Januar arbeite ich mit Menschen, die in einem Asylbewerberheim in der Nähe von Bautzen leben. Die Menschen leben dort in heruntergekommen Räumen mit schäbigen Möbeln. Es herrscht eine grauenhafte ungemütliche Atmosphäre: Ein Mix aus Gefängnis und Lagerhalle. Lieblos. Tschetschenische, georgische und afghanische versuchen aus den ärmlichsten Mitteln noch etwas gemütliches für ihre Kinder zu zaubern. Ich trete oft in die Räumlichkeiten der Menschen, um sie zu meinen Deutschstunden einzuladen. Ich merke, wie sie sich schämen, aber immer noch versuchen zu mir gastfreundlich zu sein, mir Tee, Kaffee oder Cola anzubieten. Eine Gastfreundschaft, die sie von Deutschen hier nur ganz selten erfahren.

Sind das die deutschen Werte, von denen der CDU Politiker Carsten Linnemann in letzter Zeit oft spricht?

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Bringen wir Menschen in öffentlichen Einrichtungen wie Vieh unter und erwarten dann von ihnen devote Dankbarkeit, den Frauen ihre Kopftücher abnehmen und ganz schnell anfangen Deutsch zu sprechen?

Mal davon abgesehen, dass ich mich in so einem Moment für mein Land einfach nur schäme: Riskieren wir nicht so unsere eigene Sicherheit? Die Sicherheitsfanatiker von CDU und AFD, die sich hier in Sachsen oft so freundschaftlich gut verstehen, versuchen immer wieder Geflüchtete als Sicherheitsrisiko darzustellen. Linnemann fordert Deutsche Werte zu achten. Aber was erwarten wir von Menschen, die unserer Werte in ihrem Lebensalltag so kennenlernen, wenn sie so erbärmlich hausen und die Nachbarn hier in Bautzen sie wie Zombies anschauen. Ich studiere hier jeden Tag die Blicke “auf andere”. Wie kann man Menschen Werte vermitteln, wenn man sie von vorne herein unter Generalverdacht stellt und isoliert?

Ich denke, wenn es Politikern wie Carsten Linnemann um unsere Werte und Sicherheit wirklich gehen würde, dann würden sie in Gegenden fahren, wo Asylbewerberheime sind und versuchen die Nachbarn zu überzeugen mit anzupacken, den Menschen in diesen Heimen ein wenn auch oft vorübergehendes, schönes zu Hause zu schaffen.

Das schafft Sicherheit, weil es dann zu persönlicher Freundschaft führt. Für die meisten muslimischen Jungs bist du schon als Freund seines Freundes sein eigener Freund. Die “Tochter der Friseurin” kann dann sicher nachts durch die Straßen von Bautzen an Asylbewerberheimen vorbeigehen (wenn sie nicht vorher von pöbelnden deutschen betrunkenen Jugendlichen angemacht wird). Oder Herr Linnemann bietet Präventivkurse für deutschen Männer an. Durch deren häusliche Gewalt leiden und sterben mehr Frauen im Jahr. Da können Winfried Kretschmanns syrische Männerhorden nicht mithalten.

Aber dies nur auf unsere Sicherheit zu deduzieren ist mir zu primitiv.

Aber Nachbarschaftshilfe wäre ein Weg unsere Werte zu vermitteln, wenn sie dann da sind.

Weil ich weiß bin

 

georg in bautzen

Heute begann ich die Arbeit an meiner zweiten Theaterinszenierung im Rahmen von „Das Land, das ich nicht kenne“ in Bautzen.

Auf dem Weg nach Bautzen stoppte ich gestern für 40 Minuten in Bischofswerda, um auf den Anschlusszug zu warten. Alleine. Dunkel. Kalt. Und ich konnte auch keinen Menschen hören.

Plötzlich kamen drei Männer auf mich zu. Mein erstes Gefühl: Angst. Ich erinnerte mich daran, was vor Jahren in Bischofswerda mit einem Heim für Geflüchtete geschehen ist. Und dann hatte ich einen Gedanken, für den ich mich jetzt sehr schäme:

Du bist weiß, die rühren Dich nicht an

Aber das waren einfach drei nette junge Männer, die ihre Verwandten in Bischofswerda besucht hatten und jetzt auch auf den Zug warteten.

Ich arbeite jetzt schon fast ein Jahr an dem Projekt in Sachsen und bin immer noch so von Medien und Stereotypen mit der Vorstellung beeinflusst, das hier an jeder Ecke plötzlich ein Nazi aus dem Nichts springen könnte.

Aber ich kann mir auch vorstellen, wie jemand meiner farbigen Freunde gefühlt hätte, wenn er an meiner Stelle hier abends alleine in Bischofswerda gewesen wäre.

Und ich schäme mich zum ersten Mal, dass ich weiß bin und darüber nachdachte, dass dies meine Rettung sein könnte, um nicht von ein paar Arschlöchern verprügelt zu werden.

Heute habe ich dann dieses Foto im wunderschönen Bautzen gemacht.

Alle sind hier so nett zu mir. Weil ich weiß bin?

 

Meine Bilder sind klüger als ich

Ich versuche Sachsen zu erforschen und stoße dabei auf den weltberühmten Maler Gerhard Richter. Sabine Seifert, die in der taz über unser Projekt schrieb, hatte das Buch „Ein Maler aus Deutschland“ über Gerhard Richter auf dem Weg nach Hagenwerder gelesen. Der Reporter Jürgen Schreiber nimmt uns in seiner Richter Biographie  mit in die tragische Vergangenheit von Richters Familie während der NS Zeit und damit auch Sachsens: Richter machte in Zittau Abitur, seine Tante Marianne Schönfelder starb zur NS Zeit im Rahmen der Euthanasie Programme in der Anstalt in Großschweidnitz. Auf Richters Bild „Tante Marianne“ ist sie und Richter selbst als kleiner Junge zu sehen.

Die Parallelwirklichkeit von Schicksalen, die ständig ihre Wege kreuzen und ineinander “eingreifen” ist der Motor des Buchs Schreibers die Bilder von Richter durch Tiefenbohrungen in der Vergangenheit zu erfassen. In diesem Buch wird deutlich, dass Richter vieles nicht wusste, was er eigentlich gemalt hatte. Für ihn unbewusst drückt sich aber die Wahrheit über seine Vergangenheit schon in seinen Bildern aus.

Richter malt die Wahrheit herbei

So drückt es Schreiber es in seinem Buch aus.

Mehrfach malt er zum Beispiel seinen ehemaligen Schwiegervater, ohne zu wissen, dass auch er für die Sterilisierung seiner Tante mitverantwortlich war und maßgeblich im NS Regime in Sachsen an Sterilisierungen von Frauen mitwirkte.

Als Richter diese Bilder malte, wusste er weder von den Verbrechen seines Schwiegervaters, noch von Tante Mariannes schrecklichem Tod in Großschweidnitz. Die Ärzte sterilisierten sie, ließen sie dann jahrelang erbärmlich vegetieren, hungern und schließlich durch Medikamente langsam sterben. Es fehlten ihr 2 Monate zur Befreiung Dresdens um zu überleben.

Meine Bilder sind klüger als ich

Gerhard Richter

Wie Schreiber beschreibt wollten die Angestellten und Ortsbewohner von Großschweidnitz nicht über die Vergangenheit reden. Über die diese Vergangenheit wird in Sachsen eh nicht gerne geredet. Im Buch werden aber einige für heute sehr relevante Dinge beschrieben, die sich auch auf das Heute auswirken: Kaum ein Bundesland wie Sachsen, war so aktiv im Bereich der Euthanasie, deren Organisation in Sachsen pervers perfekte Züge annahm. Hitler liebte Dresden wie keine zweite Stadt. Grausam war die Zerstörung Dresdens. Blutig war der Krieg in vielen Gebieten Sachsens.

Aufgearbeitet wurde davon wenig. Diese “Last des Schweigens”, wie der israelische Psychologe Dan Bar On es in seinem gleichnamigen Buch nennt, führt generationenübergreifend zu Schäden, Traumata und neuer Gewalt.

Das Bild von Tante Marianne und mehr Informationen über das Buch „Ein Maler aus Deutschland“ finden Sie hier

 

Die guten Menschen aus Sachsen

Ich hatte mich mal in die Ukraine verliebt, als ich nach dem Maidan mit einer Gruppe von Menschen in der Ukraine in Kontakt kam, deren häufigsten 2 Fragen untereinander folgende waren:

„Brauchst du Hilfe?“ oder „Wie kann ich Dir helfen?“

In „Dunkeldeutschland“ habe ich ähnliches erlebt.  Und hier gibt zwei Wirklichkeiten. Wie sich Menschen hier gegenseitig unterstützen habe ich in Deutschland selten gesehen. Gästen, Fremden, inbegriffen auch mich persönlich, wird gerne geholfen. Ich erlebe hier oft im Alltag wie Menschen einander Glück und Erfolg gönnen.

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In meinem sehr schnell ziemlich groß gewordenen neuen Bekanntenkreis, habe ich ein ständiges menschliches geben und nehmen erlebt. Sei es, wie spontan in der Eckkneipe beschlossen wird den Freund in den Nachbarort zu fahren, sei es bei der Wohnungssuche oder der Hilfe im Garten.

Ich persönlich auf der Suche nach Menschen mit ihren Geschichten wurde förmlich von dem einen zum anderen „durchgereicht“ und habe nun einen großen Kreis an Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Besser gesagt sich vielleicht auch in zwei Teile, zwei verschiedenen Sachsen unterteilen. Denn Sachsen ist gespalten.

Den Menschen aus dem kleinen Ort Hagenwerder, viele davon einfacher Arbeiter habe ich eine ganze Theaterinszenierung gewidmet, über die man auf dieser Homepage lesen kann.

Heute geht es mir um einen anderen Menschenschlag hier in der Gegend, den ich gar nicht so genau zu definieren weiß. Intellektuelle Schicht der Lausitz? Sozial engagierte Schicht zwischen Zittau, Görlitz und Bautzen?

Schwer zu sagen. Doch verbindet alle diese Menschen eines: Mut. Es ist einfach in Berlin Kreuzberg und Hamburg Ottensen eine offen tolerante multikulturelle Gesellschaft zu leben. Hier muss man diese schaffen und jeden Tag verteidigen. Ich weiß nicht ob diese Menschen hier zur Zeit wirklich „mehr“  sind, doch sie sind stark und ich habe das Gefühl, dass sie der Baustein eines unglaublichen auch toleranten und weltoffenen Sachsen sind, das in Deutschland ganz unbekannt ist. Und über das es ganz wichtig ist mehr zu erfahren.

In Großhennersdorf, hinter einem Bauernhof,  in der Umweltbibliothek finde ich unter dem Dach eine beeindruckende und große Sammlung von Büchern die geschichtlich und aktuell nach 17 Perspektiven geordnet das Themen Fluchtursachen und Migration behandeln.

Der Leiter der Bibliothek Herr Schönfelder macht mich unmittelbar mit Rebecca Smith bekannt, zu dieser Zeit eine der LeiterInnen des soziokulturellen Zentrums der „Hillerschen Villa“ in Zittau. Eine Amerikanerin, die seit über 20 Jahren in Zittau lebt. Von da an unterstützt sie mich, wo sie auch nur kann: Neue Bekanntschaften zu machen, die sich als so wichtig für mein Projekt erweisen.

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Bekannt in Deutschland ist sicher, dass die Bürger von Ostritz ein sehr erfolgreiches Friedensfest organsierten, als Gegenbewegung zu der Tatsache, dass Neonazis fast jedes Jahr dort im Hotel Neisse Blick „Hitlers Geburtstag“ feiern. Das war eine klare Aussage von vielen sehr engagierten Bürgern dieser Stadt. In ihrem Engagement waren sie sicher auch „mehr“. Doch Antonia, 15 Jahre. Schülerin aus Ostritz sieht das eher skeptischer.

„Die Menschen, die ein tolerantes Sachsen wollen“ sind hier jetzt lauter geworden, aber die etwas größere schweigende Mehrheit denkt wohl eher rechts.“

In der links gerichteten Kneipe Emil in Zittau erzählen mir heutige Sozialarbeiter, Musiker oder Tischler, dass sie sich in den 90zigern hier fast noch Straßenschlachten mit den Skins geliefert hatten. Damals gab es hier in Deutschland rechtsfrei Räume, aber nicht wegen der Geflüchteten, sondern wegen der deutschen Skins.

Rocco war ein linker „Extremer“. Heute kümmert er sich in der mobilen Jugendhilfe z.B. um Skater, die sich regelmäßig auf einem Platz treffen, den sie gemeinsam mit Berliner Architekten gestalteten. Es ist ihrer. Sie fühlen sich hier zu Hause. Verbringen dort ihr „halbes Leben” .

Kaum das ich den Kollegen von der Jugendhilfe erzählte, dass ich mit Jugendlichen arbeiten will, die nicht zum „typischen Theaterpublikum“ Zittaus gehören, werde ich von ihnen sofort unterstützt. Sie machen mich mit einer kurdischen Familie mit zwei Töchtern in Großschönau bekannt, sie führen mich in den Skaterplatz und in ihr Jugendcafe ein.

Sehr Hilfsbereit.

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Mit viel Liebe kümmern sich die Betreuer um die afrikanischen Jungs einer Wohngruppe in Zittau. Ich erlebe, wie behutsam, sensibel. und schützend sie mit den Jungs umgehen. Die Jungs spüren dies. Die sonst so kritischen afrikanischen Jugendlichen, die nicht viel positives über die Menschen in Sachsen sagen tun, erzählen immer mit großer Liebe über ihre Betreuer. Immer wieder fällt der Name Stefan, der wie ein „zweiter Vater“ oder „großer Bruder“ immer wieder zärtlich erwähnt wird.

Steffi „als Frau“ wurde aber von den Jungs getestet und musste dafür sorgen, dass sie sofort von den Jungs als ihre Betreuerin respektiert wird, die ihnen auch mal Anweisungen gibt. Ella, die jetzt in der Hillerschen Villa ein Integrationsprogramm für Geflüchtete leitet, wird von ehemaligen Bewohnern des Flüchtlingsheim für Jugendliche in Hirschfelde immer mit viele Liebe und Dankbarkeit erinnert.

Am meisten habe ich mit Friedemann zu tun. Friedemann, auch früher eher ein „radikal linker Aktivist“. Heute mit Ohrring. Super sportlich. Unternimmt mit den afrikanischen Jungs Bergsteigen. Bietet auch Kurse für Mediation im Wald in Sachsen an. Mit seiner großen Ruhe und Gelassenheit weckt er großes Vertrauen bei den Jungs.

Durch ihn lerne ich auch Frau Bühler kennen. Sie ist Lehrerin in Zittau. Eine Schwäbin. Auch sie lebt seit über 20 Jahren in Zittau und schreibt gerade an einer wissenschaftlichen Arbeit über Traumaforschung. Sie macht mich mit ihren Schülern, darunter Kristina aus Zittau und Antonia aus Ostritz bekannt. Zusammen versuchen wir ein Videoprojekt mit Einheimischen und Migranten zu machen.

Frau Bühler findet für mich mit meinem sehr begrenzten Budget ein Unterkunft im Pfarrhaus in Zittau und richtet dabei vieles mit Gegenständen aus ihrem Privathaushalt ein, so dass ich dort leben und arbeiten kann. In Ostritz lerne ich den älteren Bruder von Friedmann – Hans- kennen. Ich werde sehr freundschaftlich als Gast behandelt und mit einem schönen Abendessen auf seiner wunderschönen Steinterrasse im Abendlicht beschert. Hans war sehr aktiv bei der „Wende“. Er ist sehr stolz, dass Ostritz Anfang 2000 Modelstadt bei der EXPO als Umweltstadt war. Wer in Westdeutschland hätte dies von einer Kleinstadt erwartet, deren Bild in die Medien hauptsächlich die Stadt ist, die Hitlers Geburtstag feiert.

Aber vielleicht sind nicht wir, aber Ostritz ist mehr. Es hat einen ganz anderen Wesenskern. Der Inhaber des “Nazihotels”, wie es von vielen in Ostritz genannt wird,  ist ein Zugezogener aus dem Westen. Kein Sachse. Kein Lausitzer.

Aber im Medienbild sind es dann halt wieder die Sachsen.

Und Hans kritisiert mein bisheriges Tagebuch höflich, aber in der Sache hart. Es gibt einen zu negativen Blick auf die Menschen hier.

„Das ist nicht Sachsen, sondern nur ein Teil“.

Vielleicht schreibe ich auch deshalb jetzt diesen Text.

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Viele Menschen in Sachsen haben durch die vielen ausländischen Gäste, die wir zur Zeit beherbergen auch Arbeit gefunden, in der die meisten auch einen guten Sinn für sich gefunden haben.

Alexander Dobrindt hat recht. Es gibt eine Anti – Abschiebeindustrie in Deutschland. Nur bewerte ich dies sehr positiv. Bei den gefährlichen sozialen Spaltungen in Deutschland ist es ein großes Geschenk, dass sich in Folge der vielen Geflüchteten bei uns so viele Menschen auf sensible soziale Berufungen spezialisieren müssen. Das kann uns nur sehr helfen bei der nötigen Überwindung einer sozialen Spaltung in Deutschland. Also alles umgekehrt. Wird durch das kommen der vielen Geflüchteten in Deutschland nicht etwas bewirkt, was wir aus eigenen Antrieb nicht in der Lage zu leisten waren? Geben uns die Geflüchteten nicht etwa die Möglichkeit, die Gabe der sozialen Kompetenz wieder zu erlangen? Müssen wir ihnen am Ende nicht dafür dankbar sein. Geben sie uns in Sachsen nicht vielleicht auch die Möglichkeit in der Auseinandersetzung mit ihrer Kultur, wieder ein Verständnis für die eigene Kultur zu entwickeln, das für so viel Menschen mit dem Verschwinden der DDR verloren gegangen scheint? Auch sie sind dadurch für mich die guten Menschen von Sachsen, die „von anderswo her“ zu uns nach Sachsen kamen.

Sie sind wohl nicht aus Bautzen?

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                                                                                                                                                   17. November 2018

Als ich das abgebrannte Asylbewerberheim im Husarenhof am Käthe – Kollwitz Platz in Bautzen filme, bekomme ich unerwarteten Besuch. Eine Frau fährt mit dem Fahrrad mitten ins Bild, steigt runter, lehnt ihr Rad an die Wand, steckt sich eine Zigarette an und ruft mir zu, dass sie nicht gefilmt werden will. Ich gehe zu ihr.

„Sie sind wohl nicht aus Bautzen? Diese Schande hier, die müssen sie endlich mal wegmachen. Dann beruhigen sich auch die Gemüter. Ich hab das erst am Morgen mitbekommen, als ich im Handy geblättert hatte. Das es gebrannt hat oder noch brennt. Das hat dann ganz widerlich gestunken hier.

Es geht uns doch gut in Deutschland hier.

Von mir aus können die doch alle hierbleiben. Aber das darf man hier nicht zu laut sagen. Die meisten meinen, dass die Kanacken hier wegmüssen. Ich find die aber nicht so schlimm. Nur mit der Pünktlichkeit haben sie es nicht so.

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Seitenwand des abgebrannten Asybewerberheims.

 

Aber eigentlich geht das hier ganz gut in der Stadt. Das wird nur von den Medien so aufgebaut. Ich habe hier auch keine Nazis gesehen. Die Jungs, die sich dort am Kornplatz versammeln, das sind doch keine echten Nazis. Das sind doch noch Kinder. Ich habe hier nie welche gesehen. Ich kenne keinen und will auch keinen kennenlernen. Es wird ja erzählt, dass hier Touristen aus Heidelberg sich beschwert haben, dass sie hier keine Nazis getroffen haben. Sind extra hergekommen.

 

Ich habe nichts gegen die Ausländer. Meine halbe Familie ist aus Schlesien. Meinen Vater haben sie kurz vor der Wende abgeholt. Dahinten ist das Stasi Gefängnis. Da ist auch mein Großvater begraben.“

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 Spielplatz gegenüber des abgebrannten Asylbewerberheims

Nach diesem Monolog erinnert sie sich, dass sie ja ihre schwangere Tochter von Bahnhof aus Leipzig abholen müsste, und anstelle dessen die Zeit verstreiche. Wir verabschieden uns sehr freundlich. Ich bleibe verwundert zurück. Es gab keinen einzigen logischen Grund, warum sie in mein Bild gefahren war und ausgerechnet dort eine Zigarette rauchen musste. War das eine besondere Art der Kontaktaufnahme oder raucht man in Bautzen mal schnell so eben eine Zigarette an der Wand eines abgebrannten Asylbewerberheims?

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Afrikaner sind halt keine Slawen.

13. November 2018

7 afrikanische Jungs leben in einer Dachwohnung. Es ist ein betreutes Wohnheim für minderjährige Geflüchtete in Zittau. Sie leben allein oder zu zweit in ihren Zimmern. Zwei Küchen. Esstisch für alle. Tischfussball und Kraftraum Geräte. Eine große Sofaecke, die vor einem Plasmafernseher angeordnet ist, der Hauptsächlich als Playstation zum Soccer spielen benutzt wird.

Die meisten von ihnen leben schon über ein Jahr in Deutschland und versuchen auf verschiedene Art und Weise einen Schulabschluss zu machen.

 

Ich möchte die Jungs einladen, an meinem Theaterstück oder einem Kurzfilmprojekt teilzunehmen.

 

Mai 2018: Mein erstes Frühstück mit 7 afrikanischen Jungs in ihrem Wohnheim und einem ihrer Betreuer.

Ich habe Eis mitgebracht, was gut ankommt.

Coole Typen. Einige von ihnen sind richtige Rastaman und mit Muskeln bepackt. Eine Gruppe mit viel Humor, die gut unter einander zu flachsen wissen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass sie bei Mädels in Kreuzberg in Berlin oder in Ottensen in Hamburg einen guten Schlag hätten. Auf die Frage, ob sie denn einer hier schonmal eine deutsche Freundin hätte, regieren sie beschämt belustigt. Wohl eher nicht…So in etwa.

Haben sie denn überhaupt Kontakt mit Deutschen  hier?

 

“Es sei kein Vertrauen da”, wiederholt ständig Alfa aus Sierra Leone. Er habe nie länger als 5 Minuten mit einem deutschen Mädchen gesprochen

 

Awel erzählt, dass er der einzige Schwarze in seiner Schule ist. Am Anfang hatten ihn alle wie eine Zirkusattraktion ohne Scham angestarrt. Später und bis heute wollen viele seine Rastazöpfe anfassen, ob sie auch echt seien.

 

“Wenn Du nur einmal die Woche auf der Straße einen Fuckfinger gezeigt bekommst, dann ist das eine gute Woche.”

 

“Am Vatertag sind wir zu unserer eigenen Sicherheit nicht auf die Straße gegangen”

 

“Wir haben Angst vor den Deutschen und die Deutschen haben Angst vor uns”.

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Ich erzähle über mich und was ich machen möchte. Auf die Frage ob sie in meinen Kurzfilmen mitmachen möchten, was darin besteht erstmal einen Nachmittag mit einem deutschen Jugendlichen zu verbringen. Ich erlebe eine gewisse Unruhe und nach der Initiative von Mohamed, den ich als Leader in der Gruppe ausmachten, sagen alle relativ schnell zu. Nur einer traut sich überhaupt nicht aus seinem Zimmer.

Ein besonderes Argument für die Teilnahme am Filmprojekt ist meine Bemerkung, dass auch Mädchen dabei sein werden.

 

Ich besuche sie regelmäßig, verbringe mit ihnen Zeit auf gemeinsamen Ausflügen. Lade sie zu individuellen Gesprächen ein. Versuche mit ihnen Geschichten über heute und ihre Vergangenheit zu entwickeln. Ich schließe sie in mein Herz, da sie sehr freundlich, sensibel und unterstützend miteinander umgehen.

 

Mit Mohamed kann ich aus sprachlichen Gründen kaum sprechen. Bevor wir uns das erste mal zu zweit trafen, schaute er mich mit seinen großen, gutherzigen, aber sehr traurigen Augen immer wieder an und wiederholte ständig drei Worte als Bedingung für unser Treffen: °Aber nicht so schwer”. Wenn ich ihn etwas frage, überlegt er lange und antwortet kurz.

 

Einige von ihnen erzählen mir, wie sie ihre Familien zurück ließen, wie sie Kameraden in der Wüste zurücklassen mussten und sahen, wie ihre Freunde aus dem benachbarten Schlauchboot ertrunken. Einer erlebte auf einem Schlauchboote, wie “per Los” andere Mitfahrer ins Meer geschmissen wurden, da das Boot zu voll war. Über Zittau und Sachsen wissen sie fast nie, was sie sagen sollen.

 

Von Tag zu Tag werden es weniger Jungs, die mit mir sprechen wollten. Der eine versteckt sich, der andere bekommt Bauchschmerzen und spielt lieber Soccer an der Playstation, der dritte lässt über die Betreuer jedesmal ausrichten, das er heute keine Lust hätte. Dabei sind sie immer sehr freundlich, doch geben sie mir auch in der Atmosphäre zu verstehen: Meine Art mit ihnen zu sprechen gibt ihnen nichts und stört sie nur. Sie wollen mir keine Geschichten aus ihrem Leben erzählen. Sie beklagen sich zwar über die Sachsen, die sie so seltsam angaffen und mit ihnen nicht sprechen. Aber sie scheinen so wenig wie die Sachsen motiviert zu sein mit “anderen” zu kommunizieren. Oder zumindest mit mir nicht. Sie ziehen sich zurück und spielen Soccer an der Playstation.

 

Als ich sie zu einem Treffen mit zwei sehr netten SchülerInnen abholen will, kommen sie nicht aus ihren Zimmern.

Nur Alfa blüht in unseren Gesprächen auf, nachdem ich ihn mit Emma, einer deutschen SchülerIn bekannt gemacht hatte. Sie treffen sich oft.

Aber, was die anderen Jungs betrifft, muss ich akzeptieren, dass sie keinen Kontakt mit mir wollen. Ich bewundere trotzdem, wie liebevoll sie miteinander umgehen.

 

Habe ich bei slawischen Jugendlichen immer eine große Freude erlebt, dass ich mich für ihre Seelen interessiere, werde ich von den afrikanischen Jungs als Störenfried wahrgenommen. Afrikaner sind halt keine Slawen. Mit ihnen in den Kontakt zu treten, heißt für mich wohl wieder ganz von vorn anzufangen.