Ich hatte mich mal in die Ukraine verliebt, als ich nach dem Maidan mit einer Gruppe von Menschen in der Ukraine in Kontakt kam, deren häufigsten 2 Fragen untereinander folgende waren:
„Brauchst du Hilfe?“ oder „Wie kann ich Dir helfen?“
In „Dunkeldeutschland“ habe ich ähnliches erlebt. Und hier gibt zwei Wirklichkeiten. Wie sich Menschen hier gegenseitig unterstützen habe ich in Deutschland selten gesehen. Gästen, Fremden, inbegriffen auch mich persönlich, wird gerne geholfen. Ich erlebe hier oft im Alltag wie Menschen einander Glück und Erfolg gönnen.
In meinem sehr schnell ziemlich groß gewordenen neuen Bekanntenkreis, habe ich ein ständiges menschliches geben und nehmen erlebt. Sei es, wie spontan in der Eckkneipe beschlossen wird den Freund in den Nachbarort zu fahren, sei es bei der Wohnungssuche oder der Hilfe im Garten.
Ich persönlich auf der Suche nach Menschen mit ihren Geschichten wurde förmlich von dem einen zum anderen „durchgereicht“ und habe nun einen großen Kreis an Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Besser gesagt sich vielleicht auch in zwei Teile, zwei verschiedenen Sachsen unterteilen. Denn Sachsen ist gespalten.
Den Menschen aus dem kleinen Ort Hagenwerder, viele davon einfacher Arbeiter habe ich eine ganze Theaterinszenierung gewidmet, über die man auf dieser Homepage lesen kann.
Heute geht es mir um einen anderen Menschenschlag hier in der Gegend, den ich gar nicht so genau zu definieren weiß. Intellektuelle Schicht der Lausitz? Sozial engagierte Schicht zwischen Zittau, Görlitz und Bautzen?
Schwer zu sagen. Doch verbindet alle diese Menschen eines: Mut. Es ist einfach in Berlin Kreuzberg und Hamburg Ottensen eine offen tolerante multikulturelle Gesellschaft zu leben. Hier muss man diese schaffen und jeden Tag verteidigen. Ich weiß nicht ob diese Menschen hier zur Zeit wirklich „mehr“ sind, doch sie sind stark und ich habe das Gefühl, dass sie der Baustein eines unglaublichen auch toleranten und weltoffenen Sachsen sind, das in Deutschland ganz unbekannt ist. Und über das es ganz wichtig ist mehr zu erfahren.
In Großhennersdorf, hinter einem Bauernhof, in der Umweltbibliothek finde ich unter dem Dach eine beeindruckende und große Sammlung von Büchern die geschichtlich und aktuell nach 17 Perspektiven geordnet das Themen Fluchtursachen und Migration behandeln.
Der Leiter der Bibliothek Herr Schönfelder macht mich unmittelbar mit Rebecca Smith bekannt, zu dieser Zeit eine der LeiterInnen des soziokulturellen Zentrums der „Hillerschen Villa“ in Zittau. Eine Amerikanerin, die seit über 20 Jahren in Zittau lebt. Von da an unterstützt sie mich, wo sie auch nur kann: Neue Bekanntschaften zu machen, die sich als so wichtig für mein Projekt erweisen.
Bekannt in Deutschland ist sicher, dass die Bürger von Ostritz ein sehr erfolgreiches Friedensfest organsierten, als Gegenbewegung zu der Tatsache, dass Neonazis fast jedes Jahr dort im Hotel Neisse Blick „Hitlers Geburtstag“ feiern. Das war eine klare Aussage von vielen sehr engagierten Bürgern dieser Stadt. In ihrem Engagement waren sie sicher auch „mehr“. Doch Antonia, 15 Jahre. Schülerin aus Ostritz sieht das eher skeptischer.
„Die Menschen, die ein tolerantes Sachsen wollen“ sind hier jetzt lauter geworden, aber die etwas größere schweigende Mehrheit denkt wohl eher rechts.“
In der links gerichteten Kneipe Emil in Zittau erzählen mir heutige Sozialarbeiter, Musiker oder Tischler, dass sie sich in den 90zigern hier fast noch Straßenschlachten mit den Skins geliefert hatten. Damals gab es hier in Deutschland rechtsfrei Räume, aber nicht wegen der Geflüchteten, sondern wegen der deutschen Skins.
Rocco war ein linker „Extremer“. Heute kümmert er sich in der mobilen Jugendhilfe z.B. um Skater, die sich regelmäßig auf einem Platz treffen, den sie gemeinsam mit Berliner Architekten gestalteten. Es ist ihrer. Sie fühlen sich hier zu Hause. Verbringen dort ihr „halbes Leben” .
Kaum das ich den Kollegen von der Jugendhilfe erzählte, dass ich mit Jugendlichen arbeiten will, die nicht zum „typischen Theaterpublikum“ Zittaus gehören, werde ich von ihnen sofort unterstützt. Sie machen mich mit einer kurdischen Familie mit zwei Töchtern in Großschönau bekannt, sie führen mich in den Skaterplatz und in ihr Jugendcafe ein.
Sehr Hilfsbereit.
Mit viel Liebe kümmern sich die Betreuer um die afrikanischen Jungs einer Wohngruppe in Zittau. Ich erlebe, wie behutsam, sensibel. und schützend sie mit den Jungs umgehen. Die Jungs spüren dies. Die sonst so kritischen afrikanischen Jugendlichen, die nicht viel positives über die Menschen in Sachsen sagen tun, erzählen immer mit großer Liebe über ihre Betreuer. Immer wieder fällt der Name Stefan, der wie ein „zweiter Vater“ oder „großer Bruder“ immer wieder zärtlich erwähnt wird.
Steffi „als Frau“ wurde aber von den Jungs getestet und musste dafür sorgen, dass sie sofort von den Jungs als ihre Betreuerin respektiert wird, die ihnen auch mal Anweisungen gibt. Ella, die jetzt in der Hillerschen Villa ein Integrationsprogramm für Geflüchtete leitet, wird von ehemaligen Bewohnern des Flüchtlingsheim für Jugendliche in Hirschfelde immer mit viele Liebe und Dankbarkeit erinnert.
Am meisten habe ich mit Friedemann zu tun. Friedemann, auch früher eher ein „radikal linker Aktivist“. Heute mit Ohrring. Super sportlich. Unternimmt mit den afrikanischen Jungs Bergsteigen. Bietet auch Kurse für Mediation im Wald in Sachsen an. Mit seiner großen Ruhe und Gelassenheit weckt er großes Vertrauen bei den Jungs.
Durch ihn lerne ich auch Frau Bühler kennen. Sie ist Lehrerin in Zittau. Eine Schwäbin. Auch sie lebt seit über 20 Jahren in Zittau und schreibt gerade an einer wissenschaftlichen Arbeit über Traumaforschung. Sie macht mich mit ihren Schülern, darunter Kristina aus Zittau und Antonia aus Ostritz bekannt. Zusammen versuchen wir ein Videoprojekt mit Einheimischen und Migranten zu machen.
Frau Bühler findet für mich mit meinem sehr begrenzten Budget ein Unterkunft im Pfarrhaus in Zittau und richtet dabei vieles mit Gegenständen aus ihrem Privathaushalt ein, so dass ich dort leben und arbeiten kann. In Ostritz lerne ich den älteren Bruder von Friedmann – Hans- kennen. Ich werde sehr freundschaftlich als Gast behandelt und mit einem schönen Abendessen auf seiner wunderschönen Steinterrasse im Abendlicht beschert. Hans war sehr aktiv bei der „Wende“. Er ist sehr stolz, dass Ostritz Anfang 2000 Modelstadt bei der EXPO als Umweltstadt war. Wer in Westdeutschland hätte dies von einer Kleinstadt erwartet, deren Bild in die Medien hauptsächlich die Stadt ist, die Hitlers Geburtstag feiert.
Aber vielleicht sind nicht wir, aber Ostritz ist mehr. Es hat einen ganz anderen Wesenskern. Der Inhaber des “Nazihotels”, wie es von vielen in Ostritz genannt wird, ist ein Zugezogener aus dem Westen. Kein Sachse. Kein Lausitzer.
Aber im Medienbild sind es dann halt wieder die Sachsen.
Und Hans kritisiert mein bisheriges Tagebuch höflich, aber in der Sache hart. Es gibt einen zu negativen Blick auf die Menschen hier.
„Das ist nicht Sachsen, sondern nur ein Teil“.
Vielleicht schreibe ich auch deshalb jetzt diesen Text.
Viele Menschen in Sachsen haben durch die vielen ausländischen Gäste, die wir zur Zeit beherbergen auch Arbeit gefunden, in der die meisten auch einen guten Sinn für sich gefunden haben.
Alexander Dobrindt hat recht. Es gibt eine Anti – Abschiebeindustrie in Deutschland. Nur bewerte ich dies sehr positiv. Bei den gefährlichen sozialen Spaltungen in Deutschland ist es ein großes Geschenk, dass sich in Folge der vielen Geflüchteten bei uns so viele Menschen auf sensible soziale Berufungen spezialisieren müssen. Das kann uns nur sehr helfen bei der nötigen Überwindung einer sozialen Spaltung in Deutschland. Also alles umgekehrt. Wird durch das kommen der vielen Geflüchteten in Deutschland nicht etwas bewirkt, was wir aus eigenen Antrieb nicht in der Lage zu leisten waren? Geben uns die Geflüchteten nicht etwa die Möglichkeit, die Gabe der sozialen Kompetenz wieder zu erlangen? Müssen wir ihnen am Ende nicht dafür dankbar sein. Geben sie uns in Sachsen nicht vielleicht auch die Möglichkeit in der Auseinandersetzung mit ihrer Kultur, wieder ein Verständnis für die eigene Kultur zu entwickeln, das für so viel Menschen mit dem Verschwinden der DDR verloren gegangen scheint? Auch sie sind dadurch für mich die guten Menschen von Sachsen, die „von anderswo her“ zu uns nach Sachsen kamen.